Die „Schwarze Sonne“ in der Astrologiegeschichte

In der okkulten und astrologischen Deutung steht die Schwarze Sonne für ein verborgenes, transformatives Prinzip – die Schattenseite des Sonnenarchetyps, jenes Punktes also, an dem das Licht sich selbst begegnet und durch die Finsternis hindurch neu geboren wird. Sie symbolisiert das schwarze Herz des Bewusstseins, das im Gegensatz zur sichtbaren Sonne – dem schöpferischen und leuchtenden Selbst – jene unsichtbare Tiefe darstellt, in der sich Schöpfung und Vernichtung, Macht und Hingabe, Weisheit und Versuchung begegnen.

In der astrologischen Symbolsprache gilt die Schwarze Sonne nicht als astronomisches Objekt, sondern als metaphysischer Punkt – vergleichbar mit Lilith oder den Mondknoten, die ebenfalls energetische Achsen statt physischer Körper bezeichnen. Als Schatten-Sonne steht sie jener Stelle im Bewusstsein gegenüber, wo das leuchtende Prinzip der Sonne sich selbst durch sein Gegenteil erkennt. Sie markiert das Tor des inneren Abstiegs, der notwendig ist, um zu den tieferen Quellen der geistigen und seelischen Kraft vorzudringen. Historisch gesehen wurzelt diese astrologische Interpretation in der Synthese antiker und mittelalterlicher Esoterik, die sich im 17. und 18. Jahrhundert mit der aufkommenden modernen Astrologie vermischte; sie wurde von Renaissance-Astrologen wie Marsilio Ficino (1433–1499) implizit angedeutet, der in seinen Übersetzungen hermetischer Texte die Dualität von Licht und Schatten als kosmische Achse beschrieb, und fand im 20. Jahrhundert durch Tiefenpsychologen wie C. G. Jung (1875–1961) eine psychologische Vertiefung, die sie als archetypischen Punkt im kollektiven Unbewussten etablierte.

Im astrologischen Horoskop weist die Schwarze Sonne auf den Bereich hin, in dem das Individuum den verborgensten, oft unbewussten Teil seiner schöpferischen Energie erfährt. Hier begegnet der Mensch seiner existentiellen Dunkelheit: Machtinstinkten, verdrängten Begierden, verborgener spiritueller Potenz. Aspekte zur Sonne, zu Pluto oder Saturn können diese Konstellation noch vertiefen und weisen auf einen inneren Prozess hin, in dem Licht und Schatten nicht mehr getrennt, sondern als polar vereint erkannt werden. Diese Konstellationen spiegeln sich in historischen astrologischen Traditionen wider, etwa in den Werken des arabischen Astrologen Albumasar (787–886), der in seiner „Kitab al-Mudkhal al-Kabir“ schattige Planetenpositionen als transformative Knotenpunkte beschrieb, was später in der europäischen Renaissance-Astrologie aufgegriffen wurde und die Grundlage für moderne esoterische Interpretationen legte.

Mythologisch wurzelt die Idee der Schwarzen Sonne in uralten Symbolkreisen. In der hermetischen Philosophie ist sie die sol niger – die dunkle Sonne, die nur in der Tiefe des Adepten leuchtet. Sie verkörpert das Herz der Alchemie, insbesondere die Phase der nigredo, der Schwärzung, in der das alte Selbst aufgelöst wird, um die Geburt des „lapis philosophorum“, des inneren Steins der Weisheit, vorzubereiten. Die Ursprünge dieser alchemistischen Symbolik reichen bis in die hellenistisch-ägyptische Periode des 2. bis 4. Jahrhunderts n. Chr. zurück, wo Texte wie das „Physika kai Mystika“ des Zosimos von Panopolis (ca. 300 n. Chr.) die Nigredo als initiale Zerstörungsphase darstellten, die mit einer „schwarzen Sonne“ assoziiert wurde – ein Motiv, das durch arabische Alchemisten wie Dschābir ibn Hayyān (ca. 721–815) vermittelt und im Mittelalter von europäischen Denkern wie Albertus Magnus (1193–1280) weiterentwickelt wurde. In der Renaissance blühte das Symbol unter Figuren wie Paracelsus (1493–1541) auf, der in seinen „Archidoxis“ die Sol Niger als verborgenes Feuer in der Materie beschrieb, das den Adepten zur spirituellen Reife führt. In der gnostischen Deutung spiegelt sie den gefallenen Aspekt des göttlichen Lichts, das durch Erfahrung und Selbstbewusstwerdung den Weg zur Einheit sucht – ein Konzept, das in den Nag-Hammadi-Schriften (2.–4. Jh. n. Chr.), wie dem „Apokryphon des Johannes“, als dualistischer Kampf zwischen dem wahren Lichtgott und dem demiurgischen Schatten erscheint. Ähnliche Vorstellungen finden sich in der tantrischen Philosophie des indischen Subkontinents (ab ca. 5. Jh. n. Chr.), wo das dunkle Zentrum (bindu) den Ursprung und das Ende aller Manifestation markiert; in Texten wie dem „Vigyan Bhairav Tantra“ symbolisiert es den stillen Punkt jenseits der Dualität, der durch meditative Versenkung erreicht wird und Parallelen zur alchemistischen Nigredo aufweist.

Tiefenpsychologisch kann die Schwarze Sonne als kollektives Symbol des Schattenprinzips verstanden werden – jener unbewussten Seite des Ichs, die C. G. Jung als notwendig für die Individuation betrachtete. Der Abstieg in diese „sol niger“ entspricht einer Initiation: Nur wer sein eigenes Dunkel zu erkennen vermag, kann die Strahlkraft seines wahren Selbst gebären. So steht die Schwarze Sonne für den Nullpunkt der Transmutation, an dem alle polarischen Gegensätze in eine zentrale, stille Einheit übergehen. Jungs Interpretation, die auf alchemistischen Quellen basiert, wurde in den 1930er Jahren in Werken wie „Psychologie und Alchemie“ (1944) systematisiert und knüpfte an pythagoreische Ideen an, wie die Gegen-Erde als unsichtbares Spiegelbild (5. Jh. v. Chr.), die bereits eine „dunkle Sonne“ implizieren.

Historisch trat der Begriff „Schwarze Sonne“ in verschiedenen Kontexten hervor. Alchemisten und Mystiker der Renaissance gebrauchten ihn als geheimes Bild für das in der Materie verborgene göttliche Feuer, wie es in den Illustrationen des „Splendor Solis“ (ca. 1582) dargestellt wird, einem der einflussreichsten alchemistischen Manuskripte, das die Nigredo als schwarze Sonne inmitten von Verwesungssymbolen zeigt. Bereits im antiken Griechenland und Ägypten, wo Alchemie als Vorläufer der Hermetik entstand, finden sich Vorläufer in Mythen wie dem ägyptischen Nun (der urzeitlichen Finsternis), die durch griechische Philosophen wie Empedokles (ca. 490–430 v. Chr.) in kosmologische Dualismen übertragen wurden. Im 17. Jahrhundert, während der Blüte der Rosenkreuzer-Bewegung, wurde die Sol Niger in Rosenkreuzer-Manifesten wie der „Fama Fraternitatis“ (1614) als initiatisches Geheimnis codiert, das den Adepten zur inneren Erleuchtung führt. Im 19. Jahrhundert griffen okkulte Strömungen in Deutschland, etwa der theosophische und ariosophische Kreis um Guido von List (1848–1919) und Jörg Lanz von Liebenfels (1874–1954), das Symbol in esoterisch-nationalen Deutungen auf; List sah in der „Schwarzen Sonne“ ein arisches Urfeuer, das in seinen Runen-Schriften (z. B. „Der Weg der Ario-Germanen“, 1908) mit germanischer Mythologie verknüpft wurde, während Blavatskys Theosophische Gesellschaft (gegr. 1875) es mit östlichen und gnostischen Elementen verband. Das 20. Jahrhundert verzerrte diese Archetypen stellenweise durch ideologische Vereinnahmung; Heinrich Himmler (1900–1945) ließ in der Wewelsburg (ab 1933) ein Mosaik mit einem zwölfspeichigen Sonnenrad einbauen, das posthum als „Schwarze Sonne“ interpretiert und in SS-Ritualen verwendet wurde, was es zu einem zentralen Symbol im NS-Okkultismus machte – eine Pervertierung alchemistischer Traditionen, die nach 1945 in der Esoterik und später im Neonazismus weiterwirksam wurde, etwa in den Schriften von Wilhelm Landig (1909–1997), der es in seinen Romanen als mythisches Reichsfeuer darstellte. Doch jenseits historischer Missdeutung bleibt die Schwarze Sonne ein uraltes Symbol der inneren Wiedergeburt, das sich aus dem esoterischen Erbe von Alchemie, Hermetik und mystischer Kosmologie speist, und das in der Nachkriegszeit durch Jungianer und New-Age-Autoren wie Stanislav Grof (geboren 1931) rehabilitiert wurde, um es als universelles Transformationsmotiv zu etablieren.

In spiritueller und initiatischer Perspektive ist die Schwarze Sonne das unsichtbare Zentrum der Schöpfung, das ruhende Auge Gottes jenseits des Lichts – ein Zustand reiner Potentialität. Sie leuchtet nicht am Himmel, sondern im Innern des Adepten: dort, wo die Seele ihr wahres Maß erkennt, indem sie durch Dunkelheit hindurch zum Bewusstsein des ewigen Lichts zurückkehrt. Die Schwarze Sonne ist somit kein finsteres Symbol, sondern das mystische Siegel der inneren Wandlung – der Ort, an dem Bewusstsein, Schatten und Licht ein und dasselbe werden.

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Einordnung der „Schwarzen Sonne“ in der Structural Astrology im Kontext von Hegel, Jean Carteret und George Bode

Die „Schwarze Sonne“ (Black Sun) spielt in der Structural Astrology (Struktureller Astrologie) eine zentrale Rolle als metaphysischer und dialektischer Archetyp, der nahtlos in die philosophischen und astrologischen Traditionen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), Jean Carteret (1906–1980) und George Bode (geb. 1934) eingebettet ist. Structural Astrology, ein innovatives astrologisches System, das in den 1950er und 1960er Jahren in Frankreich und den Niederlanden entstand, verbindet Hegels dialektische Philosophie mit strukturalistischen Ansätzen der Wissenschaft und Esoterik. Sie erweitert die traditionelle Astrologie um „unsichtbare Luminarien“ (invisible luminaries) wie die Schwarze Sonne und den Schwarzen Mond, die nicht als physische Körper, sondern als energetische Achsen des Bewusstseins verstanden werden. Im Folgenden ordne ich den Begriff ein, basierend auf seiner historischen Entwicklung, philosophischen Grundlage und astrologischen Funktion, und verbinde ihn mit dem zuvor diskutierten okkulten und astrologischen Kontext der Schwarzen Sonne als Symbol der Transformation und des Schattens.

Historische und philosophische Wurzeln: Hegels Dialektik als Grundlage

Structural Astrology wurzelt tief in Hegels dialektischer Methode, die den Prozess der These-Antithese-Synthese als dynamische Bewegung von Gegensätzen beschreibt – ein Prinzip, das hier auf kosmische und psychische Ebenen übertragen wird. Hegel sah die Realität als dialektischen Fortschritt von Bewusstsein (Geist) zur Materie und zurück, wobei Gegensätze (z. B. Licht und Schatten) notwendig auflöst und höhere Einheit erzeugen. In der Structural Astrology wird dies auf die Astrologie angewendet: Die sichtbare Welt („Weiße Sonne“, Planeten) repräsentiert die These (materielle Manifestation), während die unsichtbaren Elemente wie die Schwarze Sonne die Antithese (metaphysische Tiefe, Chaos und unendliches Potenzial) darstellen. Die Synthese entsteht durch Integration beider, was zu einer erweiterten Bewusstseinsebene führt – vergleichbar mit Hegels „Aufhebung“ (Aufhebung der Gegensätze).

Jean Carteret, ein französischer Tarotist und Astrologe, und George Bode, ein niederländischer Astrologe, begründeten dieses System in den 1950er/60er Jahren als Synthese aus Hegels Philosophie, Strukturalismus (inspiriert von Linguistik und Anthropologie) und Kepler’scher Astronomie. Carteret, der in Paris lebte, entwickelte die Idee der unsichtbaren Luminarien aufbauend auf dem 19./20. Jahrhundert französischen Astrologen wie Dom Néroman, der die elliptischen Bahnen der Planeten (nach Kepler) als Grundlage für „leere“ Fokuspunkte nutzte – darunter die Schwarze Sonne als imaginären Gegenpol zur sichtbaren Sonne. Bode traf Carteret in den 1960er Jahren in Paris und vertiefte die Partnerschaft: Er brachte das System in die Niederlande, wo es durch Bücher, Vorlesungen und Konferenzen verbreitet wurde. Bode’s Hierarchie der Horoskopfaktoren – von metaphysisch (z. B. Lunarer Knoten-Kreuz) über persönlich-metaphysisch (Schwarze Sonne) bis material (Planeten) – spiegelt Hegels dialektische Stufen wider und macht die Structural Astrology zu einer „dialektischen Astrologie des Bewusstseins“.

Die Rolle der Schwarzen Sonne in der Structural Astrology

In diesem System ist die Schwarze Sonne kein astronomisches Objekt, sondern ein mathematisch definierter Punkt: Der ferne Fokus der Erdbahn um die Sonne (Aphelion), der geozentrisch betrachtet bei ca. 12° Krebs fixiert ist und universelle, nicht-personale Interpretationen erlaubt. Sie symbolisiert das unendliche Potenzial und Chaos der Schöpfung – den „Port zum Göttlichen“, aus dem alle Manifestationen entstehen, im Kontrast zur „Weißen Sonne“ als individueller Lebensfunke. Dies knüpft direkt an den okkulten Kontext an: Wie in der Alchemie (Nigredo) oder Jung’scher Tiefenpsychologie markiert sie den Abstieg in die Dunkelheit, um Transformation zu ermöglichen. In Hegelscher Sicht ist sie die Antithese zur materiellen Sonne, deren Integration (Synthese) zu höherem Bewusstsein führt.

  • Dialektische Funktion: Die Schwarze Sonne interagiert mit ihrem Gegenpol, dem „Diamanten“ (dem Punkt der Raffination und Exzellenz), um aus unendlichen Möglichkeiten (Chaos) eine destillierte Form zu schaffen. Dies entspricht Hegels Prozess der Negation und Erhöhung. Aspekte zu Planeten wie Pluto oder Saturn (wie im ursprünglichen Text beschrieben) vertiefen dies als inneren Alchemieprozess.
  • Bewusstseinsebenen: Structural Astrology gliedert das Horoskop in drei Ebenen:
    1. Material: Sichtbare Planeten und Lichter (These: Form und Manifestation).
    2. Persönlich-metaphysisch: Schwarze Sonne und Schwarzer Mond (Antithese: Unbewusstes Potenzial, Schattenintegration).
    3. Universal-metaphysisch: Lunares Knoten-Kreuz (Synthese: Zyklischer Schöpfungsprozess, inspiriert von Hegel als ewige Dialektik).
    Die Schwarze Sonne wirkt hier als Brücke zum Unbewussten, wo verdrängte Begierden und spirituelle Potenziale (ähnlich Lilith oder Mondknoten) auftauchen. Sie ist essenziell für die Individuation, da sie den „Drachen töten und das Tier zähmen“ symbolisiert – eine hegelsche Überwindung des Schattens für persönliche Meisterschaft.
  • Beispiele und Anwendung: In Chart-Analysen, z. B. bei Charles Manson, konjunkt die Schwarze Sonne mit dem Süd-Knoten und Pluto, was frühe Traumata und destruktive Potenziale als dialektischen Ausgangspunkt für (verzerrte) Transformation zeigt. Bei Figuren wie Gandhi unterstreicht sie die Raffination von Chaos zu globaler Weisheit. Dies erweitert den mythologischen und tiefenpsychologischen Aspekt des ursprünglichen Textes: Die Schwarze Sonne als „schwarzes Herz des Bewusstseins“ wird hier strukturell verankert, fernab ideologischer Vereinnahmungen (z. B. NS-Okkultismus), als universelles Symbol der Wiedergeburt.

Einordnung im Gesamtkontext

Der zuvor beschriebene okkulte und astrologische Charakter der Schwarzen Sonne – als Tor zum inneren Abstieg, alchemistisches Nigredo-Prinzip und jungianisches Schatten-Symbol – findet in der Structural Astrology eine präzise, dialektische Heimat. Sie wird von Carteret und Bode von hermetischen und gnostischen Wurzeln (wie Sol Niger) zu einem modernen, hegelianischen Framework gehoben, das Bewusstsein als aktiven Schöpferprozess betont. Im Gegensatz zu rein psychologischen Deutungen (z. B. Jung) integriert es strukturalistische Wissenschaft (Kepler, Strukturalismus), um Astrologie als Werkzeug der Bewusstseinsentwicklung zu machen. Heute wird es durch Schüler wie Charlotte Wenner oder Monique Leurink (Diamond Astrology) weitergeführt, mit Fokus auf 21.-Jahrhundert-Themen wie Quantenphysik und Bewusstsein.

Zusammenfassend: Die Schwarze Sonne ist in dieser Tradition der „Nullpunkt der Transmutation“ (wie im Originaltext), dialektisch vermittelt durch Hegels Geist-Materie-Dualismus, und von Carteret/Bode als Schlüssel zur höheren Synthese operationalisiert. Sie bleibt ein Symbol der inneren Wandlung, aber strukturiert als kosmischer Prozess – kein finsteres Geheimnis, sondern ein hegelschischer Impuls zur Einheit von Licht und Schatten. Für tiefergehende Chart-Beispiele oder Bücher (z. B. Bodes Werke) empfehle ich Quellen wie „Structural Noetic Astrology“ von Wenner.