Die Astrologen der Antike und ihre Methoden

Die Astrologen der Antike, etwa von Dorotheos über Valens bis Firmicus, arbeiteten mit einem festen System von Methoden, das man als „Werkzeugkasten“ beschreiben könnte.

Zuerst stand immer das Richten des Horoskops: Festlegung des Aszendenten (ὡροσκόπος), der Häuserschnittpunkte und der Planetenpositionen im Tierkreis. Danach folgten verschiedene Ebenen der Deutung.

1. Oikodespoten (Herrschaftsordnungen)

  • Quelle: Dorotheos von Sidon, Carmen Astrologicum (Buch 1, Kapitel 1–3); Valens, Anthologies (Buch 2, Kapitel 1–2).
  • Methode: Bestimmung des Herrschers (κύριος, oikodespotes) jedes Zeichens, Planeten oder Achsenpunkts. Der Oikodespotes des Aszendenten ist der „Lebenslenker“ (helm of the nativity).
  • Zitat (Dorotheos, Buch 1, 1.1): „Der Herrscher des Horoskops [Aszendent] zeigt den Charakter und die Handlungen des Geborenen an; man untersucht sein Zeichen, Haus und Aspekte.“
  • Anwendung: Ketten von Dispositoren (z. B. Planet A in Zeichen von B → B’s Herrscher prüfen).

2. Planetare Konditionen (Dignitäten, ἀξίαι)

  • Quelle: Ptolemaios, Tetrabiblos (Buch 1, Kapitel 17–21); Valens, Anthologies (Buch 2, Kapitel 3).
  • Methode: Bewertung pro Planet: Domizil (οἰκεία), Exil (φθορὴ), Erhöhung (ὕψωσις), Fall (ὕπωσις), Triplizität (τριπλικότης), Dekan (ἑκατοντάρχης). Zusätzlich: Sichtbarkeit (unter Sonne?), Richtung (direkt/rückläufig), Phasen (oriental/occidental).
  • Tabelle der Dignitäten (Ptolemaios, Buch 1, Kap. 17 – exakt):
  • Zitat (Ptolemaios, Buch 1, 17): „Ein Planet ist in seinem Domizil stark, in Exil schwach; die Erhöhung erhöht die Kraft, der Fall mindert sie.“

3. Lots (κλῆροι, Arabische Teile)

  • Quelle: Valens, Anthologies (Buch 2, Kapitel 29–35); Ptolemaios, Tetrabiblos (Buch 1, Kapitel 22).
  • Methode: Berechnung als Punkte (z. B. Lot of Fortune: Aszendent + Mond – Sonne, tagsüber; umgekehrt nachts). Behandelt wie Planeten: Zeichen, Herrscher, Aspekte prüfen.
  • Schlüssel-Lots (Valens, Buch 2, 29): Fortune (τύχη, äußeres Glück), Daimon (πρᾶξις, innere Handlung), Ehe, Kinder.
  • Zitat (Valens, Buch 2, 29): „Das Los der Fortune zeigt Erwerb und Körper an; sein Herrscher und Aspekte deuten die Qualität.“

4. Häuser/Orte (τόποι)

  • Quelle: Valens, Anthologies (Buch 2, Kapitel 4–10); Dorotheos, Carmen (Buch 1, Kapitel 4–6).
  • Methode: 12 Orte (Häuser) als funktionale Bereiche, beginnend am Aszendenten (Gleichhäuser oder ganze Zeichen). Jeder Ort für Lebensaspekte: 1. Leben/Körper, 2. Besitz, 3. Geschwister/Reisen, 4. Eltern/Ende, 5. Kinder/Freude, 6. Krankheit/Diener, 7. Ehe/Gegner, 8. Tod, 9. Glaube/Reisen, 10. Taten/Rang, 11. Freunde, 12. Feinde.
  • Zitat (Valens, Buch 2, 4): „Der erste Ort zeigt den Körper und das Leben; der zehnte die Handlungen und den Rang.“

5. Aspekte (σχέσεις)

  • Quelle: Ptolemaios, Tetrabiblos (Buch 1, Kapitel 13–15); Valens, Anthologies (Buch 2, Kapitel 11).
  • Methode: Geometrisch: Konjunktion (0°), Sextil (60°), Quadrat (90°), Trigon (120°), Opposition (180°). Bewertung nach Zeichenverwandtschaft (Elemente: Feuer-Luft harmonisch, Feuer-Wasser feindlich).
  • Zitat (Ptolemaios, Buch 1, 13): „Aspekte der Trigon- und Sextil-Art sind vorteilhaft, Quadrat- und Opposition schädlich; die Konjunktion nach Natur des Planeten.“

6. Temperament und Charakter

  • Quelle: Ptolemaios, Tetrabiblos (Buch 3, Kapitel 10–12); Dorotheos, Carmen (Buch 1, Kapitel 7).
  • Methode: Mischung der Qualitäten (heiß/kalt, feucht/trocken) aus Aszendent, Sonne, Mond, Herrn des Aszendenten. Erzeugt Temperamente: Cholerisch (heiß/trocken), Sanguinisch (heiß/feucht), Melancholisch (kalt/trocken), Phlegmatisch (kalt/feucht).
  • Zitat (Ptolemaios, Buch 3, 10): „Der Aszendent und die Lichter bestimmen das Temperament; Feuerzeichen machen cholerisch, Erde melancholisch.“

7. Chronokratoren (Zeitlenker)

  • Quelle: Valens, Anthologies (Buch 4, Kapitel 1–20); Dorotheos, Carmen (Buch 5).
  • Methoden:
    • Profections (προφέρεσις): Jährlicher Vorschub des Aszendenten um ein Zeichen (Valens, Buch 3, 9): „Im ersten Jahr aktiviert das erste Zeichen; der Herrscher herrscht.“
    • Zodiacal Releasing (ἐκχύσεις oder ἀπολύσεις): Perioden vom Lot of Fortune/Daimon; L1 = Zeichenfolge ab Los, fixe Dauer pro Zeichen (z. B. Fische 12 J., Widder 15 J.); L2+ sequentiell (Valens, Buch 4, 4): „Die Zeit des Loses teilt sich in Unterperioden der Zeichen; Culmination am 11. Unterabschnitt.“
    • Firdarie (ähnlich): Planetare Herrschaftsperioden (Dorotheos, Buch 5, 1).
  • Zitat (Valens, Buch 4, 4): „Zodiacal Releasing vom Los der Fortune: Hauptperioden nach Zeichenlängen, Unterperioden folgen der Reihenfolge; Markierungen: Peak (Culm.), Loosing of the Bond (LB).“

Diese Methoden bilden ein standardisiertes System (Valens: „Die Kunst ist geordnet, nicht willkürlich“). Volltexte: Anthologies (Übers. Mark Riley, 2010); Tetrabiblos (Übers. F.E. Robbins, Loeb 1940).