„Noetisch“ (engl. noetic) in der Astrologie – Noēsis – „Denken“, „Verstehen“ oder „intellektuelle Erkenntnis“

„Noetisch“ (engl. noetic) leitet sich vom griechischen Wort noēsis ab, was so viel wie „Denken“, „Verstehen“ oder „intellektuelle Erkenntnis“ bedeutet. In der Philosophie bezeichnet „noetisch“ Aktivitäten des Verstandes oder der Vernunft. Der Begriff wird oft mit „nous“ (der Intellekt oder der Verstand) in Verbindung gebracht und beschreibt Prozesse des reinen Denkens oder des unmittelbaren Wissens.

In der modernen Philosophie wird „noetisch“ verwendet, um Erfahrungen zu beschreiben, die tiefes Einsicht oder Intuition jenseits der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung beinhalten. Solche Erfahrungen werden als „noetische Erfahrungen“ bezeichnet und umfassen oft ein Gefühl des Wissens, das normalerweise dem menschlichen Verständnis verborgen bleibt. Der Begriff wurde auch von Philosophen wie William James verwendet, um mystische oder religiöse Erfahrungen zu beschreiben, die als transzendent und tiefgründig empfunden werden Wikipedia.

In der „Structural Noetic Astrology“ von Charlotte E. Wenner wird „noetisch“ verwendet, um die Dimension des Bewusstseins zu beschreiben, die über das rein Materielle hinausgeht. Diese astrologische Methode betrachtet das Horoskop nicht nur als eine Sammlung von physischen und psychologischen Faktoren, sondern als ein Spiegelbild des Bewusstseins, das sowohl das Individuum als auch das Universum umfasst. „Noetisch“ in diesem Kontext bezieht sich auf die Fähigkeit des Individuums, sich mit höheren Bewusstseinsebenen zu verbinden und die zugrunde liegende Struktur des Universums zu verstehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „noetisch“ in der Philosophie und in Wenner’s astrologischem Ansatz eine tiefere, intellektuelle oder spirituelle Dimension des Wissens und des Bewusstseins bezeichnet, die über das rein Materielle hinausgeht und einen Zugang zu tieferen Wahrheiten und Einsichten ermöglicht.

Der Begriff

Der Begriff „noetic“ bzw. „noetisch“ hat eine lange philosophische Tradition, die weit vor Charlotte E. Wenner liegt. Er wurde in verschiedenen Kontexten verwendet, vor allem in Philosophie, Mystik und später in spirituellen bzw. transpersonalen Theorien. Hier ein Überblick:

  1. Platon (ca. 427–347 v. Chr.)
    Platon unterschied zwischen sinnlicher Wahrnehmung (doxa) und intellektueller Erkenntnis (noēsis). „Noēsis“ bezeichnet das reine Denken, das direkte Erfassen der Ideenwelt. Für Platon ist noetisches Erkennen die höchste Form der Erkenntnis, jenseits der physischen Welt.
  2. Aristoteles (384–322 v. Chr.)
    Aristoteles spricht vom nous (Intellekt), der die Fähigkeit besitzt, erste Prinzipien und universelle Wahrheiten direkt zu erfassen. Hier ist Noetik eng mit rationaler und intuitiver Einsicht verbunden.
  3. Neuplatonismus (Plotin, Porphyrios, Proklos, 3.–5. Jh.)
    Im Neuplatonismus bezeichnet Noetik die Ebene des geistigen Seins, die über Materie und sinnliche Erfahrung hinausgeht. Plotin spricht von einer „noetischen Welt“, die reine Intelligenz und Urbilder enthält.
  4. Renaissance und frühe Neuzeit
    Philosophen wie Giordano Bruno und später Leibniz griffen das noetische Prinzip wieder auf, indem sie die direkte Erkenntnis geistiger oder metaphysischer Strukturen betonten.
  5. William James (1842–1910)
    In seinem Werk The Varieties of Religious Experience beschreibt James „noetische Erfahrungen“ als mystische Erfahrungen, die ein tiefes Wissen vermitteln, das rational nicht erklärbar ist. Dies ist der erste moderne Gebrauch im psychologischen und spirituellen Sinn.
  6. Transpersonale Psychologie (20. Jh.)
    Vertreter wie Abraham Maslow und Ken Wilber greifen das Noetische auf, um Erfahrungen von Bewusstseinserweiterung, Einsicht und spiritueller Erkenntnis zu beschreiben.

In diesem Kontext kann man sagen: Charlotte Wenner steht in einer langen Tradition, in der „noetic“ als Begriff für höhere Bewusstseinsebenen, intuitive oder direkte Einsicht verwendet wird. Sie überträgt dies auf die astrologische Praxis, um das Horoskop als Spiegel dieser Bewusstseinsdimensionen zu deuten.

Der Begriff des Noetischen, abgeleitet vom griechischen noēsis, verweist auf das reine Vermögen des Geistes, die Wahrheit unmittelbar zu erfassen. Schon Platon unterscheidet zwischen der Welt der Erscheinungen, der doxa, und der Welt der Ideen, die nur durch noēsis erkannt werden kann. In dieser höchsten Form der Erkenntnis liegt eine unmittelbare Einsicht in die universellen Strukturen der Realität, die der sinnlichen Wahrnehmung verschlossen bleiben. Das Noetische ist somit nicht nur intellektuelle Aktivität, sondern eine Art unmittelbare Intuition des Seienden, eine Teilnahme an der Ordnung der Ideen selbst.

Aristoteles erweitert dieses Verständnis, indem er den nous, den reinen Intellekt, als Instrument beschreibt, das die Prinzipien und Urgründe des Seins erkennt. Noetisches Erkennen ist hier sowohl rational als auch intuitiv: Es ist ein Denken, das die Grundstrukturen des Universums unmittelbar durchschaut, ohne sich allein auf Erfahrung oder Sinneseindruck zu stützen.

Im Neuplatonismus gewinnt das Noetische eine metaphysische Dimension: Plotin, Porphyrios und Proklos entwerfen eine hierarchische Weltordnung, in der die „noetische Welt“ als unmittelbarer Sitz der reinen Intelligenz über der materiellen Erscheinung thront. Erkenntnis auf dieser Ebene ist nicht analytisch, sondern kontemplativ, sie ist ein Einswerden mit der Urstruktur des Seins, eine geistige Schau, die jenseits der empirischen Erfahrung liegt.

Diese Tradition der Noetik wird in der Renaissance neu aufgenommen. Giordano Bruno und später Leibniz verstehen intuitive Einsicht als Schlüssel zum Verständnis der metaphysischen Verbindungen zwischen Geist, Natur und Kosmos. Das Noetische erscheint hier als schöpferisches Vermögen, das Ordnung im Universum erkennt und in der menschlichen Erkenntnis spiegelt.

In der Moderne findet der Begriff vor allem in der Psychologie und Mystik Verwendung. William James beschreibt „noetische Erfahrungen“ als Ereignisse tiefen Wissens, die dem rationalen Denken entzogen sind: plötzliche Einsicht, transzendente Erfahrung, unmittelbares Erkennen universeller Zusammenhänge. Diese Perspektive öffnet den Begriff für spirituelle, transpersonale und bewusstseinserweiternde Dimensionen, wie sie auch in der transpersonalen Psychologie Maslows oder Wilbers reflektiert werden.

Charlotte E. Wenner schließlich überträgt das Noetische in die Astrologie. In ihrer „Structural Noetic Astrology“ wird das Horoskop nicht allein als psychologisches oder astronomisches Instrument verstanden, sondern als Spiegelung tiefer Bewusstseinsstrukturen. Das Noetische verweist hier auf jene Schicht des Seins, in der Intuition, Erkenntnis und metaphysische Ordnung zusammentreffen. Das Horoskop wird zur Landkarte des Bewusstseins, und die astrologische Deutung erhält so eine transzendierende Dimension: Sie eröffnet Einsicht nicht nur in die Lebensumstände, sondern in die verborgenen Gesetzmäßigkeiten, die das individuelle und kosmische Sein durchziehen.

In all diesen Strömungen bleibt das Noetische stets die Bewegung des Geistes zu den Prinzipien selbst: ein Denken, das unmittelbar und unmittelbar wahrnimmt, eine Intuition, die über Erfahrung hinausgeht und die höchste Form des Wissens symbolisiert. Es ist die Brücke zwischen Geist und Wirklichkeit, zwischen dem sichtbaren Kosmos und der unsichtbaren Ordnung, die ihm zugrunde liegt.

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Das Noetische: Begriffsgeschichte und philosophische Entwicklung

Der Begriff des Noetischen, abgeleitet vom griechischen Verb noeîn (νοεῖν), das „erkennen“, „denken“ oder „verstehen“ bedeutet, beschreibt das einzigartige Vermögen des menschlichen Geistes, eine unmittelbare, intuitive Einsicht in das wahre Wesen der Dinge zu gewinnen. Im Gegensatz zu diskursivem, schrittweisem Denken oder sensorischer Wahrnehmung ermöglicht das Noetische eine synoptische, ganzheitliche Schau, die jenseits der Zeit und des Raums die ewigen Prinzipien des Seins erfasst. Dieser Begriff, der tief in der antiken griechischen Philosophie verwurzelt ist, hat sich durch die Jahrhunderte als roter Faden der Metaphysik, Erkenntnistheorie und Mystik hindurchgezogen. Er symbolisiert das Streben des Menschen nach Transzendenz: Von der platonischen Ideenlehre über neuplatonische Hierarchien bis hin zu modernen phänomenologischen und poststrukturalistischen Ansätzen verkörpert das Noetische die Sehnsucht nach einer Erkenntnis, die nicht nur beschreibt, sondern vereint – den Geist mit dem Absoluten. In der Geschichte der Philosophie wird es immer wieder neu akzentuiert, oft in Zeiten geistiger Krisen oder kultureller Umbrüche, wo rationale Systeme allein nicht ausreichen. Im Folgenden wird die Entwicklung dieses Begriffs detailliert dargestellt: Von den Anfängen bei Platon und Aristoteles, über den Neuplatonismus bis zur Neuzeit und Moderne. Jeder Abschnitt beleuchtet nicht nur die Kernideen, sondern vertieft die biografischen Hintergründe der Denker – ihre persönlichen Kämpfe, Einflüsse und historischen Kontexte – sowie den breiteren philosophischen Rahmen, einschließlich Verbindungen zu Vorgängern, Zeitgenossen und Nachfolgern. Dies zeigt, wie das Noetische als dynamisches Konzept evolviert, von einer metaphysischen Ontologie zu einer existentziellen Praxis und schließlich zu einer kritischen Dekonstruktion.

1. Platon (ca. 427–347 v. Chr.)

Platon, geboren um 427 v. Chr. in Athen als Aristokles, Sohn des Ariston und der Periktione, entstammte einer aristokratischen Familie mit tiefen Wurzeln in der attischen Politik: Sein Vater beanspruchte Abstammung vom mythischen König Kodros, seine Mutter von Solon, dem Gesetzgeber. Diese Herkunft prägte Platons frühes Leben inmitten der turbulenten Demokratie Athens nach den Perserkriegen, geprägt vom Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.), der Athen in Armut und Chaos stürzte. Als Jugendlicher strebte Platon zunächst eine politische Karriere an, doch die Hinrichtung seines Lehrers Sokrates 399 v. Chr. – den er als väterliche Figur verehrte – markierte einen Bruch: Platon wandte sich der Philosophie zu, um die sokratische Weisheit zu bewahren und die Tyrannei der Mehrheit zu kritisieren. Reisen führten ihn nach Megara, zur pythagoreischen Gemeinde in Süditalien und nach Ägypten, wo er mathematische und mystische Einflüsse aufnahm. Um 387 v. Chr. gründete er die Akademie außerhalb der athenischen Stadtmauern, eine Institution, die als erste westliche Universität galt und bis zu ihrer Schließung 529 n. Chr. durch Justinian I. bestand. Hier lehrte er Aristoteles und andere, betonte Dialektik und Mathematik als Vorbereitung auf philosophische Erkenntnis. Platons Leben war von inneren Konflikten geprägt: Drei Reisen nach Syrakus (367, 361 und 360 v. Chr.) scheiterten bei Versuchen, den Tyrannen Dionysios II. zu einem Philosophen-König zu erziehen – ein Scheitern, das seine Skepsis gegenüber der Politik vertiefte. Er starb 347 v. Chr. in Athen, umgeben von Schülern, und hinterließ über 30 Dialoge, darunter Politeia, Symposion und Phaidon, die sokratische Methode in literarische Meisterwerke verwandelten. Sein Erbe floss in Judentum, Christentum und Islam, beeinflusste Augustinus, Avicenna und die Renaissance.

Noetisches Denken bei Platon: Bei Platon erreicht das Noetische seinen archetypischen Ausdruck in der Politeia (Buch VI–VII), wo er die berühmte „Linien-Analogie“ entwirft: Die Erkenntnisstufen reichen von eikasia (Bildwahrnehmung) über pistis (Glaube an Objekte) und dianoia (diskursives Denken, z. B. Mathematik) bis zur noesis – der höchsten Stufe, einer unmittelbaren, intuitiven Schau der ewig unveränderlichen Ideen. Diese noetische Einsicht ist keine bloße Abstraktion, sondern eine ekstatische Vereinigung des Geistes mit dem Guten, dem ultimativen Prinzip, das wie die Sonne die intelligiblen Formen erleuchtet. Im philosophischen Kontext kontrastiert Platon damit den Sophismus seiner Zeit (z. B. Protagoras‘ Relativismus: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“) und die vorsokratische Physik (Heraklits Fluss des Werdens vs. Parmenides‘ statisches Sein). Beeinflusst von Pythagoras‘ Zahlenmystik und Orphik, sieht Platon die Seele als gefallenes Abbild der Ideenwelt, das durch Anamnesis (Erinnerung) zur noetischen Schau zurückkehrt – ein Prozess, der Dialektik als Steigerung erfordert. Dieses Konzept prägt die gesamte westliche Epistemologie: Es vorwegnimmt kantsche synthetische Urteile a priori und heideggersche Ereignis-Denkung, betont aber ethische Implikationen – nur der noetisch Gebildete kann gerechte Herrschaft ausüben. In der Phaidros-Metapher des geflügelten Pegasos symbolisiert es die Aufstieg der Seele zur göttlichen Sphäre, jenseits sinnlicher Täuschung.

2. Aristoteles (384–322 v. Chr.)

Aristoteles, geboren 384 v. Chr. in Stagira (Chalkidike) als Sohn des Nikomachos, des Leibarztes des makedonischen Königs Amyntas III., wuchs in einer medizinisch-wissenschaftlichen Umgebung auf, die sein Interesse für Empirie und Systematik weckte. Mit 17 Jahren kam er 367 v. Chr. an Platons Akademie in Athen, wo er zwei Jahrzehnte blieb – zunächst als brillanter Schüler, später als kritischer Denker, der Platons Ideenlehre ablehnte. Nach Platons Tod 347 v. Chr. verließ er Athen aufgrund anti-makedonischer Stimmungen und unterrichtete in Assos und Lesbos, wo er Biologie und Zoologie betrieb (z. B. Meeresfauna-Analysen). 343 v. Chr. wurde er Erzieher des jungen Alexander des Großen in Mieza, prägte dessen expansiven Geist, blieb aber politisch distanziert. Um 335 v. Chr. gründete er das Lykeion (Peripatos) in Athen, eine wandelnde Schule, die empirische Forschung förderte – von Anatomie bis Politik. Seine Werke, oft Vorlesungsnotizen, umfassen Logik (Organon), Metaphysik, Ethik (Nikomachische Ethik), Physik und Poetik. Nach Alexanders Tod 323 v. Chr. floh er vor Anklagen der Gottlosigkeit (ähnlich Sokrates) nach Chalcis auf Euböa, wo er 322 v. Chr. starb. Aristoteles‘ Einfluss war immens: Durch arabische Übersetzer (Avicenna, Averroes) und Scholastiker (Thomas von Aquin) wurde er zum „Meister derer, die wissen“ (Dante). Sein Leben spiegelt den Übergang von athenischer Philosophie zur hellenistischen Wissenschaft wider, geprägt von Krieg und Exil.

Noetisches Denken bei Aristoteles: Aristoteles transformiert Platons noesis in den nous (De Anima III, 5), den „reinen Intellekt“ als passives und aktives Prinzip: Der passive Nous empfängt Formen, der aktive (nous poietikos) entzündet sie intuitiv, unabhängig von Phantasie oder Sinnesdaten. Dieses noetische Erkennen ist die Grundlage aller Wissenschaft – eine intuitive Apperzeption erster Prinzipien (z. B. Nicht-Widerspruch), die diskursives Denken (dianoia) ermöglicht. Im Kontext kritisiert Aristoteles Platons Dualismus: Statt separater Ideen sieht er Formen in der Materie realisiert (hylemorphe Theorie), doch der Nous bleibt göttlich, „unvermischbar“ und ewig – ein Hauch des Unbewegten Bewegers. Beeinflusst von Empedokles‘ Vierelementenlehre und Demokrits Atomismus, verbindet Aristoteles Noetik mit Teleologie: Alles strebt zum Guten, erkannt durch intuitive Vernunft. Dies wirkt in der Scholastik (Aquinas‘ intellectus agens) und Moderne (Hegels dialektische Intuition), betont aber Praxis: Noetisches Wissen führt zur eudaimonia (Glückseligkeit) in der Nikomachischen Ethik. Es markiert den Shift von platonischer Mystik zu aristotelischer Empirie, doch behält es die transzendente Dimension bei.

3. Plotin (ca. 205–270 n. Chr.)

Plotin, geboren um 205 n. Chr. in Lykopolis (Ägypten), wuchs in einer hellenisierten Provinz des Römischen Reiches auf, geprägt von griechisch-ägyptischer Synkretik. Als Jugendlicher suchte er vergeblich nach befriedigender Philosophie, bis er bei Ammonios Sakkas in Alexandria den Neuplatonismus fand – eine Synthese aus Platon, Aristoteles und Stoizismus. Um 244 n. Chr. folgte er der römischen Armee nach Mesopotamien, um persische Weisheit zu studieren, scheiterte aber und ließ sich in Rom nieder, wo er eine Schule gründete. Unterstützt vom Senator Marcellus Orontius und Kaiser Gallienus (der ein platonisches Utopia plante), zog Plotin gebildete Römer an, darunter Porphyrios. Sein Leben war asketisch: Er fastete, meditierte und schrieb 54 Traktate („Enneaden“), die Porphyrios posthum ordnete. Plotin erlebte Ekstasen („Vereinigung mit dem Einen“), blieb aber bescheiden – er schrieb nie über sich. Inmitten der Reichskrise (Anarchie des 3. Jh.) starb er 270 n. Chr. in Kampanien an Gicht. Sein Vermächtnis: Begründer des Neuplatonismus, Einfluss auf Christentum (Augustinus), Islam und Renaissance.

Noetisches Denken bei Plotin: Plotins Noetik kulminiert in der Dreihypostasen-Lehre (Enneaden): Das Eine (transzendent), der Nous (noetische Welt der Ideen als dialektische Einheit von Denker und Gedachtem) und die Seele (die emaniert und zurückkehrt). Noetische Erkenntnis ist theoria – kontemplative Schau, bei der der Intellekt sich selbst als Nous erkennt, jenseits von Dualität. Im Kontext des Neuplatonismus integriert Plotin platonsche Ideen mit aristotelischem Nous und stoischer Immanenz, kontrastiert dem Gnostizismus (Materie als Böses) durch Emanation als freie Übergang. Beeinflusst von Numenios‘ Mittelplatonismus, sieht er Ekstase als Rückkehr zum Einen – ein mystisches Noetisches, das christliche Mystik (Pseudo-Dionysius) und Sufismus prägt. Es betont Passivität: Der Geist „sieht“ durch Hingabe, nicht Anstrengung, und heilt die Seele von materieller „Gefallenheit“.

4. Porphyrios (ca. 234–305 n. Chr.)

Porphyrios (Malchos, „Königssprosse“), geboren um 234 n. Chr. in Batanaia (Syrien), entstammte einer syrisch-griechischen Familie und lernte in Athen Rhetorik bei Longinos, einem platonischen Kritiker. Um 263 n. Chr. ging er nach Rom zu Plotin, dessen Schüler er wurde und dessen Werke redigierte. Als Systematiker schrieb er die Vita Plotini, Isagoge (Logik-Einführung) und Gegen die Christen – ein verlorenes Pamphlet, das Eusebius zitierte. Er heiratete und zog sich nach Sizilien zurück, wo er starb um 305 n. Chr. Sein Leben spiegelt den Übergang zum Christentum: Als Brückenbauer zwischen Heidentum und Neuplatonismus beeinflusste er Boethius und die Scholastik.

Noetisches Denken bei Porphyrios: Porphyrios erweitert Plotins Hierarchie: Noetische Schau befreit die Seele von Materie durch metempsychosis – pränatale Wahl des Lebens als Vorbereitung auf Rückkehr. Im Kontext harmonisiert er Platon und Aristoteles (Nous als Brücke), kritisiert Christentum als irrational. Beeinflusst von Jamblichs Theurgie, betont er noetische Intuition als Weg zur Unsterblichkeit, was Augustinus‘ Bekenntnisse widerspiegelt.

5. Proklos (412–485 n. Chr.)

Proklos, geboren 412 n. Chr. in Konstantinopel als Sohn lykienscher Aristokraten, studierte in Alexandria Grammatik und Rhetorik, dann in Athen bei Syrianos die platonische Tradition. 437 n. Chr. wurde er Scholarch der Akademie, systematisiert Neuplatonismus in Werken wie Elemente der Theologie und Platon-Kommentaren. Als Heiden opponierte er Justinians Christifizierung, floh kurz und starb 485 n. Chr. in Athen. Sein Leben war von asketischer Hingabe geprägt, inmitten des christlichen Aufstiegs.

Noetisches Denken bei Proklos: Proklos‘ abgestufte Ontologie (proodos und epistrophe) platziert das Noetische als geistiges Prinzip über der aisthetos kosmos (sinnlicher Kosmos als Abbild). Noesis ist intuitive Schau der henads (göttliche Einheiten). Im Kontext synthetisiert er Plotin mit jamblichischer Theurgie, beeinflusst Dionysius Areopagita und Schellings Identitätsphilosophie – Realität als geistige Emanation.

6. Giordano Bruno (1548–1600)

Giordano Bruno, geboren 1548 in Nola (Neapel) als Filippo, trat 1565 den Dominikanern bei, floh 1576 vor Häresieanklagen nach Rom, Genf, Paris und Oxford. Als Wanderprediger propagierte er einen unendlichen Kosmos, beeinflusst von Kopernikus und hermetischen Texten. In Venedig 1592 verhaftet, verbrachte er sieben Jahre in Inquisition, wurde 1600 in Rom als Ketzer verbrannt. Sein Leben: Nomadismus, Exil und Martyrium für pantheistische Visionen.

Noetisches Denken bei Bruno: Brunos Noetik ist mnemonisch-intuitiv: Erkenntnis als „inneres Theater“ (De umbris), Verschmelzung mit der Weltseele. Im Kontext der Renaissance kontrastiert er aristotelische Endlichkeit mit hermetischer Magie, vorwegnimmt Spinozas Substanz und Schellings Naturphilosophie – Intuition als kosmisches Einwerden.

7. G.W. Leibniz (1646–1716)

Gottfried Wilhelm Leibniz, geboren 1646 in Leipzig als Sohn eines Professors, studierte Recht, Philosophie und Mathematik in Leipzig, Jena und Altdorf. Als Diplomat diente er in Hannover, erfand 1673 den Kalkül, korrespondierte mit Clarke und schrieb Monadologie. Sein Leben: Reisen, Bibliotheksgründung, Isolation am Hof – starb 1716 unbelobt.

Noetisches Denken bei Leibniz: Leibniz‘ intuitive Einsicht (visio Dei) erkennt prästabilierte Harmonie in Monaden. Im barocken Kontext verbindet er Cartesianismus mit platonischer Noesis, beeinflusst Kant – Vernunft als schöpferische Intuition des Kosmos.

8. Edmund Husserl (1859–1938)

Edmund Husserl, geboren 1859 in Prossnitz (Mähren) als Jude, konvertierte 1886, studierte Mathematik in Wien bei Brentano. Professor in Halle, Göttingen und Freiburg, gründete Phänomenologie. Antisemitismus trübte sein Alter; starb 1938 in Freiburg.

Noetisches Denken bei Husserl: Husserls Noetik (Logische Untersuchungen) analysiert Bewusstseinsakte intuitiv. Im phänomenologischen Kontext bricht er mit Psychologismus, beeinflusst Heidegger und Sartre – Epoché als noetische Reduktion zur Essenz.

9. William James (1842–1910)

William James, geboren 1842 in New York als Sohn eines Theologen, studierte Medizin in Harvard, wurde 1872 Psychologie-Professor. Pragmatismus-Gründer, Varieties of Religious Experience. Starb 1910 in Chautauqua.

Noetisches Denken bei James: James‘ noetische Qualität (Varieties) beschreibt mystische Einsichten als unmittelbares Wissen. Im pragmatischen Kontext kontrastiert er Rationalismus, beeinflusst Dewey – Erfahrung als noetischer Test der Wahrheit.

10. Charlotte E. Wenner (20./21. Jh.)

Charlotte E. Wenner, zeitgenössische niederländische Autorin und Astrologin, geboren im 20. Jh., entwickelte „Structural Noetic Astrology“ basierend auf unsichtbaren Luminarien (Lilith, Pluto usw.). Als Pionierin verbindet sie Astrologie mit Bewusstseinsforschung, hält Vorträge (z. B. 2017 in Oldenzaal) und publiziert (Structural Noetic Astrology, 2021). Ihr Werk entstand aus esoterischer Praxis in Amsterdam.

Noetisches Denken bei Wenner: Wanners Noetik sieht Horoskope als Spiegel noetischer Strukturen – Intuition trifft metaphysische Ordnung. Im modernen Kontext synthetisiert sie Jung’s Archetypen mit Neuplatonismus, erweitert Astrologie zu Bewusstseinserweiterung.

11. Martin Heidegger (1889–1976)

Martin Heidegger, geboren am 26. September 1889 in Messkirch (Schwarzwald) als Sohn eines Küsters, wuchs in einer katholischen Familie auf, die ihn früh für Theologie prägte. Ab 1909 studierte er in Freiburg Theologie, wechselte 1911 zur Philosophie bei Heinrich Rickert und Edmund Husserl, dessen Assistent er wurde. Der Erste Weltkrieg (1914–1918) unterbrach sein Studium; als Postoffizier erlebte er den Schrecken des Grabenkriegs, was seine Ontologie von Endlichkeit und Sorge formte. 1923 habilitierte er sich und wurde 1928 Husserls Nachfolger in Freiburg, wo er Sein und Zeit (1927) veröffentlichte – ein Meilenstein der Existenzialphänomenologie. 1933 wurde er Rektor der Universität Freiburg, trat der NSDAP bei und hielt eine umstrittene Antrittrede (Die Selbstbehauptung der deutschen Universität), was ihm den Vorwurf des Philosophen des Nationalsozialismus einbrachte. Nach dem Rücktritt 1934 zog er sich in die Hütte in Todtnauberg zurück, wo er seine „Kehre“ vollzog: Vom frühen Daseinsanalytiker zum Denker des „Ereignisses“. Im Nachkriegsprozess 1945 wurde er entnazifiziert, lehrte aber weiter bis 1951. Seine späten Werke wie Beiträge zur Philosophie (1936–1938, publ. 1989) und Was heißt Denken? (1954) kritisierten Technik und Metaphysik. Heidegger starb am 26. Mai 1976 in Freiburg, umgeben von Kontroversen um seinen Nationalsozialismus, doch sein Einfluss auf Postmoderne, Hermeneutik und Dekonstruktion (Derrida, Gadamer) ist unermesslich. Sein Leben war geprägt von Isolation, Wanderungen im Schwarzwald und der Suche nach dem „verborgenen Ursprung des Denkens“.

Noetisches Denken bei Heidegger: Heidegger transformiert das Noetische in eine radikale Ontologie des Denkens: In Was heißt Denken? und Sein und Zeit ist „Denken“ keine bloße Repräsentation, sondern Besinnung – eine intuitive, ereignishafte Erschließung des Seins (aletheia als Unverborgenheit), die jenseits des diskursiven Vorhandenen liegt. Der nous wird zum Dasein-Sein, einer ekstatischen Vorlauf zur Endlichkeit, wo noetische Einsicht als Gelassenheit (später) das „Nichts“ enthüllt, das das Sein birgt. Im philosophischen Kontext kehrt Heidegger gegen Husserls transzendentale Noetik um: Statt reiner Intuition kritisiert er die „Vergessenheit des Seins“ in der westlichen Metaphysik (von Platon bis Nietzsche), die Noesis zur technischen Berechnung verflacht. Beeinflusst von Hölderlins Dichtung und Diltheys Hermeneutik, verbindet er Noetik mit Poesie und Kunst (Ursprung des Kunstwerks), wo das Ereignis als noetische Schau das Heilige zurückholt – ein Vorgriff auf Marions saturated phenomena. Dies wirkt in der Umweltphilosophie (Technikkritik) und Existentialismus: Denken als noetisches Wagnis, das „Wir sind noch nicht denkend“ mahnt, und die ontologische Differenz (Sein vs. Seiendes) als Brücke zur Mystik.

12. Jacques Derrida (1930–2004)

Jacques Derrida, geboren am 15. Juli 1930 in El Biar (Algerien) als jüdischer Sepharde, wuchs in einer kolonialen, antisemitischen Umgebung auf, die seine Identität als „Außenseiter“ formte. Der Vichy-Regime 1942 verbot ihm den Schulbesuch; er las früh Nietzsche und Rousseau. 1949 kam er nach Paris, studierte an der École Normale Supérieure bei Althusser und Hyppolite, promovierte 1959/1962 mit Husserl- und Rousseau-Analysen. Als Dozent in den USA (Johns Hopkins, 1966) prägte er mit De la grammatologie (1967) die Dekonstruktion. Die 68er-Proteste machten ihn zur Ikone der Poststrukturalisten; er gründete GREPH (1975) gegen philosophische Ausgrenzung und engagierte sich für Nelson Mandela und Paul de Man (deren NS-Vergangenheit er verteidigte). Derrida reiste weltweit, hielt Vorlesungen in Princeton und Yale, und schrieb über 70 Bücher zu Themen wie Hauntologie (Specters of Marx, 1993) und Tierethik (Der Tier in mir, 2006). Seine Freundschaften mit Foucault, Deleuze und Levinas waren ambivalent; er starb am 8. Oktober 2004 in Paris an Krebs. Derridas Leben war nomadisch, geprägt von Exil, Sprachwechsel (Französisch, Arabisch, Hebräisch) und der Dekonstruktion eigener Texte – ein permanentes „Differieren“.

Noetisches Denken bei Derrida: Derrida dekonstruiert das Noetische als „Logozentrismus“: In Von der Grammatologie und Die Stimme und das Phänomen ist die platonische noesis eine privilegierte Präsenz-Metaphysik, die Schrift und Differenz (différance) unterdrückt – noetische Intuition wird zur illusorischen „lebendigen Stimme“. Stattdessen schlägt er eine „noetische“ Dekonstruktion vor: Intuitive Einsicht als unendliche Verzögerung, wo der Sinn sich in Spuren auflöst, jenseits von Husserls Evidenz. Im poststrukturalen Kontext kritisiert er Heideggers onto-theologisches Residuum und kehrt gegen den „phallogozentrischen“ Nous: Beeinflusst von Saussures Semiotik und Freuds Unbewusstem, wird Noetik zu einer ethischen Gastfreundschaft (hospitality), die das Andere (z. B. in Adieu to Emmanuel Levinas) unmittelbar, aber aporetisch erfasst. Dies prägt Gender-Theorie (Cixous), Postkolonialismus (Spivak) und Literaturkritik: Dekonstruktion als noetische Unterbrechung, die die westliche Tradition von innen heraus öffnet, und vorwegnimmt Marions Phänomenologie des Geschenks als Überschreitung der Präsenz.

13. Jean-Luc Marion (1946– )

Jean-Luc Marion, geboren am 3. Juli 1946 in Meudon (bei Paris), entstammte einer katholischen Familie und studierte Philosophie an der Sorbonne bei Paul Ricœur und Louis Lavelle. Beeinflusst vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965), das seine Theologie öffnete, promovierte er 1980 mit Sur le prisme métaphysique de Descartes und habilitierte sich 1985. Als Professor in Poitiers, Lyon und Paris (Sorbonne, seit 1995) und Mitglied der Académie Française (seit 2008) wurde er zu einem führenden Phänomenologen. Seine Konversion zur katholischen Mystik (Bernard von Clairvaux) prägte Werke wie Dieu sans l’être (1982), das Metaphysik als „onto-theologisch“ kritisiert. Marion lehrte an Chicago und Notre Dame, engagierte sich in der Philosophie der Religion und erhielt 2017 den Ratzinger-Preis. Sein Leben ist geprägt von interdisziplinärer Arbeit – von Descartes bis Levinas – und einer Flucht vor akademischer Konformität: Als „Phänomenologe des Überschwänglichen“ verbindet er Philosophie mit Liturgie, inmitten der säkularen Moderne. Heute lebt er in Paris und beeinflusst Debatten um Glaube und Vernunft.

Noetisches Denken bei Marion: Marions Noetik kulminiert in der „Phänomenologie der Saturation“ (Étant donné, 1997): „Saturated phenomena“ (Ereignisse wie Kunst, Liebe, Offenbarung) überschwemmen die intuitive Einsicht, machen noesis zu einer passiven Rezeption des Ungegenständlichen – jenseits husserlischer Intention. Der Blick (le regard) ersetzt den Husserlschen Blick als noetische Hingabe an das Geschenk. Im Kontext der „Theologischen Wende der Phänomenologie“ (nach Heidegger) dekonstruiert Marion die onto-theologische Noetik: Beeinflusst von Dionysius Areopagita und Levinas‘ „Gesicht des Anderen“, wird Noesis zu einer „negativen Gewissheit“ (Certitude négative, 2010), die das Unsichtbare (Gott) intuitiv erfasst, ohne Metaphysik. Dies wirkt in der Religionsphilosophie (Rahner, Blondel) und Ästhetik: Saturated Phänomene als noetische Ekstase, die Derridas Différance erfüllt und zeitgenössische Debatten um „post-metaphysische Theologie“ bereichert – ein Aufruf zur Hingabe an das Überschwängliche in einer reduzierten Welt.

Fazit: Das Noetische als Schlüsselbegriff

Das Noetische durchzieht die Philosophiegeschichte als dynamisches Ideal der unmittelbaren Einsicht – vom platonischen Aufstieg zur Ideenwelt über plotinische Emanation und bruno’sche Kosmos-Verschmelzung bis zu husserlscher Reduktion, james’scher Mystik und Wenners astrologischer Synthese. Mit Heidegger wird es zur ontologischen Besinnung auf das Sein, die Technik und Vergessenheit bekämpft; Derrida dekonstruiert es als Präsenz-Illusion, öffnet Räume für ethische Differenz; Marion erweitert es zu saturated Phänomenen, die die Grenzen der Intuition sprengen und Theologie phänomenologisch erneuern. In einer Ära von KI und Virtualität, wo diskursives Denken dominiert, mahnt das Noetische – substantiiert durch diese generationenübergreifenden Dialoge – zur Rückkehr zur geistigen Schau: Eine Bewegung des Geistes zu universalen Prinzipien, die nicht nur erkennt, sondern transformiert. Als Brücke zwischen Antike, Moderne und Postmoderne bleibt es ein Aufruf zur Selbsttranszendenz, zur Ordnung des Seins selbst – ein ewiger „Geistesschau“, der in Krisen wie Klimawandel oder Digitalisierung neue Intuitionen weckt.